Nur mit den Augen Maß nehmen reicht und schon passt es wie angegeossen
Afghanin schneiderte in ihrer Nähstube eine Jacke für Katrin Hechler Die Afghanin Parwin Arifi hat vor etwa einem Jahr in der DRK-Gemeinschaftsunterkunft Bad Homburg am Niederstedter Weg eine Nähstube eingerichtet, in der sie für ihre Mitbewohner kostenlos Kleidung ändert und flickt. Kreisbeigeordnete und Sozialdezernentin Katrin Hechler hat sie bereits zur Eröffnung der kleinen Schneiderwerkstatt besucht und war damals schon begeistert, von diesem „Stück gelebter Integration“. Jetzt war die Beigeordnete erneut dort, auf Einladung von Parwin Arifi, die ihr gerne etwas überreichen wollte: eine selbstgeschneiderte Jacke…
Katrin Hechler hatte die Einladung gerne angenommen, kannte aber den Grund nicht. Umso überraschter war sie, als ihr Parwin Arifi im Beisein von Einrichtungsleiter Johannes Pegler und seiner Kollegin Serafina Mastrolonardo sowie dem stellvertretenden DRK-Kreisgeschäftsführer Sebastian Fischer eine prachtvoll gearbeitete, handwerklich perfekte Übergangsjacke aus rotem Stoff mit goldfarbenen Ornamenten und einem eleganten schwarzen Futter überreicht wurde. Hechler konnte es kaum erwarten, das gute Stück gleich anzuprobieren. Es passte wie angegossen, dabei hatte die gelernte Schneiderin aus Afghanistan nicht einmal Maß genommen, jedenfalls nicht mit dem Maßband, sondern offenbar allein mit den Augen. „Sie kam eines Tages zu mir und zeigte mir den Zeitungsartikel von der Eröffnung der Nähstube, wobei sie mit dem Finger auf Frau Hechler deutete, ihr wollte sie aus Dankbarkeit für die Aufnahme ihrer Familie in der Gemeinschaftsunterkunft danken. Die Jacke ist wohl das Ergebnis“, lachte Pegler. Er, wie auch Hechler und Mastrolonardo sowie Fischer staunten, dass Parwin Arifi offenbar dieses Foto zum Maßnehmen ausgereicht hat und dass die Jacke einfach perfekt sitzt. „Sie hat großes Talent und freut sich wahnsinnig darüber, dass sie hier bei uns in ihrem Beruf arbeiten kann“, sagte Pegler, für den die Nähstube im ehemaligen „Frauenzimmer“ der Gemeinschaftsunterkunft auch mehr ist, als nur ein Arbeitsplatz: „Hier findet Kommunikation statt“, erklärt Serafina Mastrolonardo. Arifis Auftraggeber bleiben oft hier und schauen ihr beim Arbeiten zu, es gibt dann afghanischen Tee und auch schon mal Gebäck, man redet miteinander und knüpft Kontakte – ein kleines Integrationsprogramm, über Landes- und auch Glaubensgrenzen hinweg.
Etwas Ähnliches gibt es bereits an anderer Stelle der Unterkunft. Die Fahrradwerkstatt des Sudanesen Mukhtar Jaber funktioniert genauso, halt nicht mit Nadel und Faden, sondern mit Schraubenschlüssel und Luftpumpe.
Beide nehmen keine Aufträge von außerhalb entgegen, haben aber auch so schon alle Hände voll zu tun. Die in Gemeinschaftsunterkünften lebenden Geflüchteten haben fast alle Fahrräder und auch die Möglichkeit, gut erhaltene Kleidung für sich und ihre Familien unter anderem in den vom DRK-Kreisverband betriebenen Kleidershops in Königstein und Usingen zu beziehen, doch die passen oft eher schlecht als recht. Das würde dann den Besuch beim Änderungsschneider nötig machen und auch Geld kosten, Parwin Arifi, die mit ihrem Ehemann und den beiden Söhnen aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist und seit März 2022 in der Gemeinschaftsunterkunft lebt, arbeitet aber umsonst. Sie lässt Säume aus zu kurzen Hosen und Jackenärmeln heraus, oder kürzt sie bis sie passen. Sie näht Knöpfe an und setzt Abnäher, wenn Jacke und Hose zu weit sein sollten, oder näht Flicken auf, oder, wie jetzt, auch mal eine ganze Jacke… Dafür habe er der allseits beliebten Frau gerne das schönste Zimmer im ganzen Haus gegeben, erzählte Einrichtungsleiter Johannes Pegler damals schon beim ersten Besuch der Kreissozialdezernentin. Der Erfolg hat ihm offenbar Recht gegeben.